Newsletter Mikrobiom April 2015

Das erwartet Sie in diesem Newsletter

Im fachlichen Teil widmen wir uns den Kleinstlebewesen, die permanent in und auf uns leben. Zum Glück – wie eindrucksvolle Studienergebnisse zeigen. Erfahren Sie auch, wie unser Lebensstil diesen Mikroben zusetzt und was Sie zur Mikrobiompflege tun können.

Und schließlich wie gewohnt:

Wir sind (zum Glück) nicht allein: Das Mikrobiom

Sie alle wissen, wie wichtig es ist, jemandem das Gefühl zu geben: „Sie sind nicht allein!“ Wer hier nur an den empathischen Umgang mit seinen Mitmenschen denkt, sollte unbedingt unseren Beitrag zum Mikrobiom lesen.

Prof. Dr. Thomas C. G. Bosch, Direktor des zoologischen Instituts der Uni Kiel, hat sich der Erforschung dieser kleinen, aber nicht minder bedeutsamen Lebewesen verschrieben. Mit seinem Vortrag „Mikroben im Körper“ sorgte er beim letzten Lübecker hoT-Workshop für Begeisterung, als er aktuelle Forschungsergebnisse zur Symbiose von Mensch und Bakterium präsentierte:
„Unser Körper enthält 10-mal mehr Bakterienzellen als eigene Zellen. Und die Gesamtheit der bakteriellen Gene ist 100-mal größer als das menschliche Genom“. Wir sind also wahrlich nicht allein, sondern existieren als Multiorganismen. Prof. Bosch spricht daher gern von Metaorganismen.

In der Vergangenheit wurden Bakterien überwiegend als Bedrohung angesehen. Doch krankmachende Mikroorganismen sind nicht die Regel, sondern die Ausnahme. Die meisten leben nicht nur friedlich mit uns, sondern sind sogar nützlich – wenn nicht sogar notwendig für ein Leben in Gesundheit. Tatsächlich wurde der Einfluss von Mikroorganismen auf Immunabwehr, Stoffwechsel und Entwicklung bislang völlig unterschätzt. Liegt hier vielleicht das Problem vieler chronischer Krankheiten?

Zunahme chronischer Krankheiten

Während Infektionskrankheiten seit langem stark rückläufig sind, nehmen komplexe Erkrankungen, die Bosch gern als „Umwelterkrankungen“ zusammenfasst, stark zu. Sie sind für ihn die Herausforderungen des 21. Jh.:

  • chronisch entzündliche Darmerkrankungen (CED)
  • Asthma
  • Allergien
  • Diabetes
  • Erkrankungen des Nervensystems
  • Autismus ...

Scheinbar haben wir uns das Bekämpfen von Krankheitskeimen mit neuen Krankheiten erkauft, die dadurch entstehen oder zunehmen, dass wir nicht gut mit unseren Bakterien umgehen.

Der Wirt bestimmt, mit welchen Bakterien er lebt.

Welche Bakterien uns besiedeln, ist kein Zufall. Tatsächlich bestimmt der Wirtsorganismus (Mensch/Tier), mit welchen Bakterien er langfristig zusammenlebt. Gesteuert wird dies über ein komplexes System aus Signalen des Wirtes und Interaktionen innerhalb der Bakterien. Besonders spannend: Im Laufe der Evolution hat jede Tierart und auch der Mensch ihr eigenes, für diese Art typisches Mikrobiom entwickelt. Dabei korreliert dieses Muster sogar mit der stammesgeschichtlichen Verwandtschaft von Tierarten!

Unser Mikrobiom ist also Teil unserer Evolution und Resultat Millionen Jahre langer Selektion (natürlicher Auslese). Dessen sollten wir uns bewusst sein, wenn wir durch Ernährung, Antibiotika, Konservierungsstoffe usw. in kurzer Zeit deutliche Verschiebungen unseres Mikrobioms herausfordern.

Wie schnell es zu Verschiebungen im aus Sicht der Evolutionsbiologie eigentlich stabilen Mikrobiom kommen kann, zeigen die Erfahrungen mit dem bekannten Keim Helicobacter pylori: Anfang des 20. Jh. waren noch 80-100 % der Menschheit mit ihm infiziert. Neuere Untersuchungen aus den USA zeigen jedoch, dass Menschen, die in den 90er Jahren geboren worden sind, nur noch zu 5 % Träger dieses Bakteriums sind. Zugleich hat die Zahl der Fälle an Magenkrebs, für die Helicobacter mitverantwortlich gemacht wird, deutlich abgenommen. Allerdings stieg derweil die Häufigkeit einer bestimmten Krebsform (Adenokarzinom) in der Speiseröhre, bei dem Wissenschaftler einen Bezug zum Rückgang von Helicobacter vermuten.

Spannend sind auch die Arbeiten des Biologen Jeff Leach, denen sich die Februarausgabe der Zeitschrift Geo widmete: Angehörige des afrikanischen Stammes der Hazda, die sich alle besonders ursprünglich ernähren, haben doppelt so viele Bakterienarten im Darm wie wir Europäer. Zugleich kennt dieser Stamm weder Rheuma noch Diabetes – Krankheiten mit denen wir womöglich v.a. dank unserer „zivilisierten“ Lebensweise konfrontiert sind.

Fakten rund um das Mikrobiom

  • Unser Körper enthält 10-mal mehr Bakterien als Körperzellen.
  • Das Genom dieser Bakterien ist 100-mal größer als unser eigenes.
  • Vereinfacht könnte man sagen, dass wir – bezogen auf die Zellzahl – zu 90 % aus Bakterien bestehen, bezogen auf die Gene sogar zu 99 %.
  • Jede Tierart und auch der Mensch hat seine arteigene Bakterienzusammensetzung. Dabei korreliert die Zusammensetzung des Mikrobioms mit der stammesgeschichtlichen Verwandtschaft der Tiere.
  • Gesteuert wird die bakterielle Zusammensetzung einerseits durch Signale des Wirtes (Mensch/Tier) und andererseits durch Wechselwirkungen zwischen den Bakterien.
  • Körpereigene Bakterien sind Teil der körpereigenen Abwehr (z.B. durch Bildung antifungaler Moleküle).
  • Bei Mäusen beeinflussen die körpereigenen Bakterien das Verhalten (keimfrei aufgezogene Mäuse verhalten sich wagemutiger).
  • Keimfrei aufgezogene Mäuse haben fehlgeformte und funktionsuntüchtige Organe, wie z.B. zu kleine Herzen.
  • Die mit ihm zusammenlebenden Mikroorganismen können einem Metaorganismus bei der Anpassung an sich verändernde Umweltbedingungen helfen.
  • Es scheint, dass eine möglichst große Artenvielfalt unseres Mikrobioms den besten Krankheitsschutz bietet.
  • Im Laufe des Lebens nimmt der Artenreichtum im Darm ab.

Fakten zur Darmflora

Ein besonders bekannter und bedeutsamer Teil unseres Mikrobioms ist die Darmflora.

  • Allein der Darm enthält 1,5-2 kg! Bakterien.
  • Die Zahl der Bakterien in unserem Darm ist größer als die Zahl aller Menschen, die je gelebt haben.
  • Wir brauchen unsere Darmbakterien u.a. für unsere Abwehr, unsere Ernährung und unsere Entwicklung.
  • Darmbakterien bilden Vitamine und lebensnotwendige Eiweißbausteine (Aminosäuren).
  • Übergewichtige haben einen höheren Anteil an Firmicutes (best. Bakteriengruppe) in der Darmflora. Diese können Nahrungsbestandteile besonders gut aufspalten und schaffen es daher noch, Energie aus Nahrungsbestandteilen zu gewinnen, die viele andere Bakterien nicht verwerten können.
  • Fettleibigkeit lässt sich bei Mäusen mit deren Darmflora auf zuvor schlanke Tiere übertragen.
  • Darmbakterien kommunizieren über einen Nerven (Nervus vagus) mit dem Gehirn (Gut-Brain-Achse).
  • Bei keimfrei gezüchteten Zebrafischen kann sich die Feinstruktur des Darms nicht richtig ausbilden.
  • Die Zusammensetzung der Darmflora beeinflusst das Krebsrisiko im Darm. Auch hier der inzwischen nicht mehr überraschende Zusammenhang: Darmkrebspatienten haben im Schnitt eine deutlich reduzierte Artenvielfalt im Darm. Zugleich ist der Anteil an Fusobakterien, die entzündungsfördernd wirken, bei Darmkrebspatienten erhöht.
  • Verschiedene Studien deuten darauf hin, dass Butyrat-produzierende Darmbakterien besonders günstig sind.

Filmtipp zum Mensch als Metaorganismus

•    Vortrag von Prof. Dr. Bosch bei der "Night of the profs" an der Universität Kiel: Mikroben im Körper – Sand im Getriebe oder heimliche Helfer?
www.youtube.com/watch?v=dP4O1RX_oFA

    Antibiotika und ihre Folgen

    Wenn das Mikrobiom derart wichtig ist, welche Folgen haben dann Konservierungsstoffe und Antibiotika, deren erklärtes Ziel die Tötung von Bakterien ist und die nicht zwischen gutartigen und krankmachenden Keimen unterscheiden können?

    Ein Problem ist nicht nur die Entstehung multiresistenter Keime, die zuletzt in Kiel für Schlagzeilen sorgten, – Antibiotika verändern unser Mikrobiom! Akut erleben wir die Folgen z.B. in Form eines Soors nach lokaler Anwendung von Antibiotika beim Zahnarzt oder in Form von Durchfall / einem Vaginalpilz nach Einnahme von Antibiotika. Weit beunruhigender ist die Tatsache, dass der jahrzehntelange großzügige Einsatz von Antibiotika schon jetzt eine sichtbare Selektion (Auswahl) von Keimen in unserem Mikrobiom verursacht hat. Diese könnte Grund für die Zunahme von Asthma, Diabetes Typ 1 und anderer „Umwelterkrankungen“, wie Bosch sie nennt, sein.

    Dazu einige Fakten:

    • Antibiotika können die Darmflora nachweislich über Monate bis Jahre verändern (Jernberg et al., 2010). Sie sind der größte Feind unseres intestinalen Mikrobioms.
    • Häufige Antibiotikagaben bei Kleinkindern erhöhen das Asthmarisiko (Cohet, C. et al., 2004).
    • Durch Antibiotikagabe im Kindesalter steigt die Häufigkeit von Morbus Crohn / Chronisch entzündlichen Darmerkrankungen (Virta et al., 2011)

    Und zum Problem multiresistenter Keime:

    • In Deutschland geht man von 400.000 bis 600.000 Krankenhausinfektionen durch Antibiotika-resistente Erreger aus (De Gruyter, 2013).
    • Zwischen 7500 und 15.000 Menschen sterben jährlich bei uns an solchen Keimen (De Gruyter, 2013).
    • Die WHO wird nicht müde, auf das zunehmende Resistenzproblem hinzuweisen (WHO Global Report, 2014).

    Doch noch immer werden Antibiotika – in der Tierhaltung, aber auch in der Humanmedizin – zu oft und zu unspezifisch eingesetzt:

    • 2013 haben Tierärzte in Deutschland 1452 t Antibiotika bestellt – darunter auch 13 t Fluorchinolone und 4 t Cephalosporine, die beide wichtig in der Humanmedizin sind (Kessen, 2014).
    • Antibiotika werden noch zu oft bei viralen Infekten wie einem grippalen Infekt oder Erkältungshusten eingesetzt (Die Welt, 2012; Starostzik, 2012).
    • Nur 10 % der Patienten erwarten bei Atemweginfekten, ein Antibiotikum verschrieben zu bekommen (Faber et al., 2010).
    • Dient die „Verfütterung“ kleiner (sub-therapeutischer) Mengen von Antibiotika in der Massentierhaltung womöglich nicht nur der „Gesunderhaltung“ der Tiere, sondern auch ihrer Gewichtzunahme bei geringerem Futtereinsatz?

    Mikrobiompflege

    Auch wenn wissenschaftlich noch nicht genau geklärt ist, wie weit wir durch eine "Wiederaufforstung" unserer Darmflora bzw. unseres Mikrobioms therapeutisch auf Erkrankungen wie krankhafte Fettleibigkeit (Adipositas), Multiple Sklerose usw. einwirken können, scheint die Mikrobiompflege ein sinnvoller Ansatz zu Prävention und Therapie zu sein.

    Was können wir also zur Pflege unseres Mikrobioms tun?

    • Belastungen vermeiden, d.h. Vermeidung von Zusatzstoffen in Lebensmitteln, Kosmetik usw., sparsamer Einsatz von Antibiotika (auch in der Tierhaltung!), Abführmittel usw.
    • möglichst naturbelassene Kost – am besten frisches Obst und Gemüse in Bio-Qualität
    • auf ausreichend Ballaststoffe achten (mind. 50 g pro Tag)
    • weniger Fett und Fleisch essen
    • auf Vielfalt in der Ernährung achten
    • Sauermilchprodukte, Sauerkrautsaft, Kanne Brottrunk usw. helfen, ein gesundes Milieus im Darm zu schaffen.
    • Eine natürliche Geburt ist aus Sicht des Mikrobioms einem Kaiserschnitt vorzuziehen, da das Kind mütterliche Keime über den Geburtskanal aufnimmt (Kolonisierung). Dadurch haben natürlich geborene Kinder einen Gesundheitsvorteil im Laufe ihres Lebens.
    • Übers Stillen gelangen z.B. Bifidobakterien in den Mund des Neugeborenen, um sich später im Darm anzusiedeln.
    • Präbiotika zur aktiven Unterstützung der Darmbakterien
    • Probiotika zur Verbesserung des Darmmilieus, insbesondere nach Antibiotikagabe, Magen-Darm-Infekten usw.

    Literatur

    1. Antimicrobal Resistance  – WHO Global Report on Surveillance 2014
    2. Cohet, C. et al. : Infections, medication use, and the prevalence of symptoms of asthma, rhinitis, and eczema in childhood. J Epidemiol Community Health. Oct 2004; 58(10): 852–857. doi:  10.1136/jech.2003.019182
    3. De Gruyter : Antibiotika-Forschung: Probleme und Perspektiven. Akademie der Wissenschaften in Hamburg, 2013
    4. Die Welt : Infektionskrankheiten - Wann Antibiotika wirklich sinnvoll sind. 19.11.12
    5. Faber, M.S. et al. : Antibiotics for the common cold: expectations of Germany’s general population. Euro Surveill. 2010; 15(35):pii=19655
    6. Jernberg, C. et al. : Long-term impacts of antibiotic exposure on the human intestinal microbiota. Microbiology 2010
    7. Kessen, Renate: Weniger Antibiotika in der Tiermedizin – Dritte Datenerhebung, aid-Newsletter Nr. 32 vom 6.8.2014
    8. Piltz, C.; Paley, M. (Fotos): Auf Mikroben-Jagd mit “Dr. Shit“, Geo Magazin 2/2015, S. 24-41
    9. Schnorr, L. et al. : Gut microbiome of the Hadza hunter-gatherers. Nature Communications 5, Article number: 3654, doi:10.1038/ncomms4654
    10. Starostzik, C. : Immer noch zu viele Verordnungen. Antibiotika bei Erkältungshusten: sinnlos bis schädlich. springermedizin.de, 1.11.2012
    11. Virta, L. et al. : Association of repeated exposure to antibiotics with the development of pediatric Crohn’s Disease—A nationwide, register-based Finnish case-control study. Am. J. Epidemiol. (2012) doi: 10.1093/aje/kwr400
    12. We are what we eat. Wie die Darmflora das Krebsrisiko beeinflusst. Springer-Medizin  nach Ärztezeitung vom 18.6.2014
    13. www.pharmazeutische-zeitung.de : Das Bakterium, dein Freund und Helfer, Pharmacon Davos 2013, 7/2013

    Wichtige Termine 2015

    34. Kongress der DGfAN – 16.-19. April in Erfurt
    hoT-Vortrag von P. H. Volkmann am 17.4.15, 16:30 Uhr
    Hotel Pullman, Theaterplatz 2, 99084 Erfurt
    Deutsche Gesellschaft für Akupunktur und Neuraltherapie e.V.
    www.dgfan.de

    CAM 2015 – 18. April in Düsseldorf
    9-18 Uhr, CCD Congress Center Düsseldorf (Messegelände)
    www.cam-expo.eu

    GZM-Kongress – 1.-3. Mai In Lindau
    Silent Inflammation – Entzündung ohne Grenzen
    Internationale Gesellschaft für Ganzheitliche ZahnMedizin e. V.
    www.gzm.org

    Im Rahmen des GZM-Kongresses Silent Inflamation – Entzündung ohne Grenzen
    Workshop „Orthomolekulare Zahnmedizin“ mit P.-H. Volkmann
    am 03.05.15 von 09:00 bis 13:00 Uhr
    im Hotel Bayerischer Hof, Bahnhofsplatz 2, 88131 Lindau

    XXIII. Eckernförder Therapietage – 15.-17. Mai
    Vortrag von P.-H. Volkmann am 15. Mai, 18.00–18.45 Uhr
    Thema: Ökosystem Mensch: Silent Inflammation von Parodont über Magen-Darm bis Vaginalschleimhaut
    Eckernförder Stadthalle, Am Exer 1, 24340 Eckernförde
    Veranstalter: Labor Dr. Hauss, www.hauss.de

    20. Kongress für orthomolekulare Medizin – 16. Mai in Köln
    Vortrag P. H. Volkmann am 16.05.15 um 17:30 Uhr
    Thema: PMS und Burnout
    Leonardo Hotel Köln am Stadtwald, Dürener Straße 287, 50935 Köln
    www.reglinverlag.de

    Kinesiologie-Workshop - 30.05.2015 in Lübeck
    Einführung in die Kinesiologie und orale Testung mit Reinsubstanzen
    Demonstration von Schmerzlöschungen
    Referent: P.H. Volkmann
    Hotel TRYP by Wyndham Lübeck Aquamarin
    Dr.-Luise-Klinsmann-Str. 1-3, 23558 Lübeck
    www.vbn-verlag.de

    Vorschau zum Jahresabschluss in Lübeck:
    16. Lübecker hoT-Workshop am 5. Dez. 2015

    Musik-und Kongresshalle Lübeck
    Programm wird rechtzeitig publiziert

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