03.04.25
Pflanzenschutz ohne Chemie: Was hilft gegen Schädlinge?

Ob im eigenen Garten oder im Supermarktregal: Rückstände chemischer Pflanzenschutzmittel begleiten uns – oft unbemerkt – bis auf den Teller. Doch es gibt wirkungsvolle Alternativen – auch für den heimischen Garten. Dr. Hermann Kruse, Umwelttoxikologe der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, zeigt, wie natürlicher Pflanzenschutz funktioniert, welche Methoden wirklich helfen und warum weniger Chemie mehr Gesundheit bedeutet – für Mensch, Tier und Umwelt.
Wenn Pestizide auf dem Teller landen – Warum gesunde Ernährung beim Anbau beginnt
Chemische Pflanzenschutzmittel (Pestizide) sind aus der konventionellen Landwirtschaft kaum wegzudenken. Rund 300 verschiedene Wirkstoffe sind bei uns zugelassen. Einige davon stehen im Verdacht, hormonwirksam oder sogar krebserregend zu sein. Selbst wenn gesetzliche Höchstmengen eingehalten werden, kann dies für empfindliche Gruppen wie Kinder oder Menschen mit Vorerkrankungen ein gesundheitliches Risiko bedeuten. Dr. Kruse betont deshalb: Je weniger chemische Rückstände in unseren Lebensmitteln landen, desto besser für unsere Gesundheit.
Wie belastet sind Obst und Gemüse?
Zwar liegen die Rückstände in den meisten Lebensmitteln unterhalb der offiziellen Grenzwerte, doch das bedeutet nicht automatisch Entwarnung. Bei einer Untersuchung wurden in vielen Proben aus konventionellem Anbau Pestizidrückstände gefunden – darunter sogar einige, die in der EU gar nicht mehr zugelassen sind. Am häufigsten belastet waren Weißwein (89,4 %), Ananas (88,6 %) und Erdbeeren (88,0 %). Besonders alarmierend sind die Zahlen bei Obst- und Gemüseprodukten für Säuglinge und Kleinkinder: Hier überschritt fast jede zehnte Probe die zulässigen Grenzwerte und dürfte somit gar nicht in den Handel gelangen. Deutlich besser schneiden Bio-Produkte ab; hier sind Grenzwertüberschreitungen die Ausnahme. Besonders strenge Standards gelten für Demeter-Produkte.

Wenn Grenzwerte an ihre Grenzen stoßen
Grenzwerte für Pestizidrückstände sollen Sicherheit geben – doch ihre Aussagekraft ist begrenzt, weil sie nicht allein auf toxikologischen Kriterien beruhen, sondern z.B. auch die Bedeutung eines Wirkstoffs für die Landwirtschaft berücksichtigen. Bei einem für die landwirtschaftliche Praxis als sehr wichtig angesehenen Pestizid kann der Grenzwert also auch mal etwas großzügiger ausfallen. Hinzu kommt: Für Substanzen ohne spezifischen Höchstwert gilt – ungeachtet ihrer Gefährlichkeit – ein pauschaler Höchstwert von 0,01 mg/kg. Daher können im Einzelfall auch bei Einhaltung der Grenzwerte Gesundheitsrisiken nicht ausgeschlossen werden. Ein Beispiel dafür ist Glyphosat, das trotz Hinweisen auf mögliche embryonale Fehlbildungen und Krebsrisiken noch mindestens bis Ende 2033 in der EU zugelassen ist.
Besonders kritisch sieht Dr. Kruse Vielstoffgemische: Gerade Lebensmittel aus konventionellem Anbau enthalten oft Rückstände mehrerer Pestizide, deren kombinierte Wirkung bislang kaum erforscht ist. Wissenschaftler warnen, dass sich giftige Effekte gegenseitig verstärken könnten („synergistische Effekte“). „Dieses Problem ist nach wie vor nicht gelöst“, so Kruse.
Pflanzen schützen ohne Chemie – Prävention statt Pestizide
Wer seine Pflanzen im heimischen Garten natürlich und effektiv schützen möchte, sollte frühzeitig beginnen – schon bevor Schädlinge auftauchen. Ein gesunder Boden und robuste Pflanzen sind die wichtigste Grundlage für einen erfolgreichen Pflanzenschutz ohne Chemie.
Zu den bewährten Maßnahmen gehören:
- Resistente Pflanzenarten wählen: Bereits bei der Pflanzenauswahl auf Sorten setzen, die von Natur aus widerstandsfähiger gegenüber Pilzbefall und anderen Schädlingen sind.
- Gesunde Pflanzen durch Humus und Kompost: Ein gesunder Boden, beispielsweise durch gezielten Humusaufbau und Einsatz von Kompost, fördert die Vitalität und Widerstandskraft der Pflanzen.
- Unkraut mechanisch bekämpfen: Regelmäßiges Hacken hilft Unkräuter in Schach zu halten.
- Fruchtwechsel: Der regelmäßige Wechsel zwischen Grünpflanzen und Halmpflanzen reduziert unerwünschte Beikräuter auf natürliche Weise.
- Grünstreifen und Hecken pflegen: Natürliche Hecken und Grünstreifen bieten wertvollen Lebensraum für Nützlinge wie Vögel und Insekten.
- Nistkästen aufhängen: Nistkästen locken Singvögel an, die sich von Schmetterlingsraupen und anderen Schadinsekten ernähren.
- Insektenhotels: Sie bieten Lebensraum für Insekten, die als Gegenspieler zu Blattläusen, Spinnmilben usw. bekannt sind. Wichtig: Den Zugang zum Insektenhotel immer mit einem Drahtgitter schützen, damit die Nützlinge nicht einem hungrigen Specht zum Opfer fallen.



Natürlich gegen Schädlinge – Biologischer Pflanzenschutz als Alternative
- Ein einzelner Marienkäfer vertilgt in seinem Leben bis zu 3.000 Blattläuse.
- Schlupfwespen helfen zuverlässig gegen Lebensmittelmotten. Sie legen ihre eigenen Eier in die Eier der Motten, zerstören diese und verschwinden selber automatisch, wenn die Motten beseitigt sind.
- Raubmilben sind ein wirksames Mittel gegen Spinnmilben in Apfelplantagen.
- Auf die jeweiligen Schädlinge abgestimmte Nematoden, mikroskopisch kleine Fadenwürmer, bekämpfen effektiv die Laven von Dickmaulrüssler, Trauermücke, Wiesenschnake (Tipula), Apfelwickler und Maikäfer, aber auch Schnecken. Allerdings sind Nematoden derzeit noch recht teuer.
- Gegen Schnecken hat sich ein igel- und eidechsenfreundliches Umfeld bewährt. Igel fressen gerne Nacktschnecken, Eidechsen bevorzugen Gehäuseschnecken.
- Kartoffelkäfer per Hand absammeln ist zwar arbeitsintensiv, aber hochwirksam.
- Eichenprozessionsspinner lassen sich (mit entsprechender Schutzkleidung) gut absaugen.
- Regelmäßiges Hacken oder Jäten hält Unkraut nachhaltig in Schach.
- Gelbe Leimfallen reduzieren den Befall durch Kirschfruchtfliegen.
- Lichtfallen ziehen nachtaktive Schädlinge wie Falter an und halten sie von Kulturpflanzen fern.
- Klug gewählte akustische Signale können ebenfalls abschrecken. Ein gelungenes Beispiel sind Aufnahmen schimpfender Stare in Kirschbäumen, die – anders als Klappergeräusche oder Schüsse – wirklich helfen.
- Gegen den Hausbock, eine Käferart, die das Holz von Dachstühlen und Fachwerkhäusern schädigt, hilft einfaches Erwärmen ganz ohne Chemie. Auch gegen Bettwanzen und Hausstaubmilben wirkt kurzzeitiges Erhitzen (z.B. in der Sauna) oder Einfrieren bei sehr niedrigen Temperaturen.
- Holz lässt sich durch sorgfältiges Trocknen gut vor Pilzbefall schützen. Bei einem Feuchtigkeitsgehalt unter 18 Prozent haben Schimmelpilze keine Chance.
- Schiffskörper lassen sich mit schwachem Strom, der zwischen Plus und Minus wechselt, vor Muscheln und Algen schützen.
- Jauchen: Mit den richtigen Kräutern und Wasser lassen sich leicht Jauchen zur Abwehr unerwünschter Gäste im Garten herstellen: Beispiele sind Muskatellersalbei und Lavendel gegen verschiedene Schädlinge, Holunder gegen Wühlmäuse (unverdünnt) oder Kohlweißlingsraupen (1:5 verdünnt zum Besprühen) sowie Farnkraut gegen Schnecken.
- Lavendel kann zudem als Tee oder als Ablenkungspflanze zum Schutz vor Schädlingen eingesetzt werden.
- Tagetes (Studentenblume) als Zwischenpflanzung schützt vor Nematoden, die die Wurzeln von Nutzpflanzen schädigen, und lockt Schnecken an. Das erhöht die Chance, dass Salate und andere Nutzpflanzen in der Nähe verschont bleiben.
- Rainfarn als Zwischenpflanzung hält Kartoffelkäfer und Raupen fern.
- Lauch zwischen anderen Pflanzen reduziert Pilzbefall.
- Zwiebeln wirken als Zwischenpflanzung abschreckend auf verschiedene Schädlinge.
- Schwarze Blattläuse lieben Kapuzinerkresse. Daher eignet sich Kapuzinerkresse hervorragend als Ablenkungspflanze. Außerdem kann sie als Tee eingesetzt werden.

Wirkstoffe aus der Natur – vom Neem-Extrakt bis zu Pheromonen
Neben Nützlingen und mechanischen Maßnahmen bietet die Natur pflanzliche und biologische Wirkstoffe, die sehr spezifisch wirken und die Umwelt deutlich weniger belasten als chemische Pflanzenschutzmittel.
- Neem-Extrakt: Der Extrakt aus dem indischen Neembaum schützt Pflanzen effektiv vor Schädlingen wie Kartoffelkäfer oder Reblaus. Neem wirkt nicht nur als Fraßgift, sondern auch abschreckend – und ist für Bienen ungefährlich.
- Chrysanthemen-Extrakt (Pyrethrin): Dieser pflanzliche Wirkstoff bekämpft zuverlässig Blattläuse, weiße Fliegen und Spinnmilben. Anders als synthetische Pyrethroide baut sich das natürliche Pyrethrin schnell wieder ab und belastet die Umwelt nicht langfristig.
- Bakterienpräparate: Bacillus thuringiensis (Bt) wird zum Schutz vor fressenden Schadraupen eingesetzt. Besonders wirksam ist es gegen den Buchsbaumzünsler, aber auch den Eichenprozessionsspinner.
- Viren: Produkte mit dem Granulosevirus sind ein gutes Mittel gegen Larven des Apfelwicklers.
- Pilze: Der Pilz Beauveria bassiana kann gegen den Borkenkäfer, der verwandte Pilz Beauveria brongiartii gegen Maikäfer zum Einsatz kommen.
- Pheromone: Diese natürlichen Duft- bzw. Botenstoffe dienen Insekten zur Kommunikation und lassen sich gezielt zum Anlocken oder zum Vertreiben von Schädlingen wie dem Borkenkäfer oder dem im Weinbau gefürchteten Traubenwickler nutzen. Auch die Kirschfruchtfliege oder Blattläuse lassen sich ohne Risiken für andere Lebewesen mit Pheromonen eindämmen.
Vorteile und Herausforderungen
Richtig angewendet bietet der biologische Pflanzenschutz wirkungsvolle Alternativen zu chemischen Mitteln. Je nach Methode braucht es eine gewisse Planung und Geduld, denn:
- Nützlinge können meist nur für 1–3 Tage bei 8–12 °C gelagert werden.
- Nützlinge können in der Regel nur von März bis Oktober unter bestimmten Bedingungen ausgebracht werden.
- Der Einsatz von Nützlingen ist meist arbeitsintensiver und zeitaufwändiger als chemische Maßnahmen.
- Regelmäßige Kontrollen sind unerlässlich.
- Biologische Maßnahmen wirken oft langsamer als Chemie.
Wichtigster Kritikpunkt aus Sicht der Landwirtschaft sind zudem die höheren Kosten biologischer Präparate im Vergleich zu chemischen Mitteln.
Demgegenüber stehen allerdings entscheidende Vorteile:
- Geringe Gefahr der Resistenzbildung bei Schädlingen.
- Gezielte Wirkung, die andere Lebewesen und Nützlinge schont.
- Besonders wichtig für Landwirte: Es ist kein Sachkundenachweis erforderlich – somit können auch Aushilfen die Maßnahmen durchführen. Zudem gibt es keine einschränkenden Auflagen zum Grundwasser-, Gewässer- oder Bienenschutz, keine Wiederbetretungsfristen und keine Wartezeiten nach der Anwendung.
- Für Verbraucher ist der größte Vorteil der nachhaltige Schutz der eigenen Gesundheit und der Umwelt: Je weniger chemische Mittel zum Einsatz kommen, desto geringer ist die Belastung für Mensch, Tier und Ökosysteme.
Fazit: Weniger Chemie, mehr Gesundheit
Biologischer Pflanzenschutz ist nicht nur eine Alternative, sondern ein echter Gewinn – für unsere Gesundheit, unsere Umwelt und die Qualität unserer Lebensmittel. Viele Methoden haben sich bereits erfolgreich bewährt, auch wenn sie teilweise noch etwas teurer als die gesundheitsgefährdende Chemie sind. Sie sparen allerdings die inzwischen überall sichtbaren, steigenden Gesundheitskosten ein! – Und je häufiger und konsequenter biologischer Pflanzenschutz eingesetzt wird, desto besser und kostengünstiger wird er in Zukunft sein.
Dr. Hermann Kruse sieht in den biologischen Methoden eine zukunftsweisende Lösung: Je bewusster wir auf Pestizide verzichten und natürliche Alternativen fördern, desto stärker schützen wir Umwelt, Boden und Trinkwasser – und nicht zuletzt unsere eigene Gesundheit.
Sein klarer Appell lautet: Wer auf biologischen Pflanzenschutz setzt, handelt vorausschauend, nachhaltig und verantwortungsvoll – für sich selbst und kommende Generationen.
Unser Tipp für alle, die sich näher für natürlichen Pflanzenschutz interessieren
Der Beitrag basiert auf einem Fachvortrag, den Dr. Kruse beim 24. Lübecker hoT-Workshop gehalten hat. Den vollständigen Fachvortrag samt anschließender Diskussion finden Sie auf dem YouTube-Kanal des VBN-Verlages.